Donnerstag, 24. April 2014

01.

Irgendwo, in einer völlig aus der Mode gekommenen kleinen Stadt namens Kleingrimmelshausen öffnete ein kleiner, unscheinbarer Mann seine Haustüre und trat hinaus auf die Strasse. Vor dem Haus blieb er einen Moment stehen, tastete nach seiner Taschenuhr und dem Haustürschlüssel, vergewisserte sich, ob er ein Schnupftuch einstecken hatte und ein wenig Geld und als er alles an seinem Platz fand, schloß er die Türe und sah zuerst die Strasse hinauf und dann hinunter.

Er wohnte schon sein ganzes Leben hier in der Pfeffergasse Nummer 13 und es gab keinen Ort auf der Welt wo er lieber wohnen würde. Jetzt denkt man vielleicht, wer so etwas sagt, der müsse die Welt kennen, oder zumindest einen großen Teil davon, denn woher sollte er sonst wissen, ob es nicht irgendwo anders schöner ist. Tatsächlich kannte der kleine Mann nur Kleingrimmelshausen und, von wenigen Besuchen die aber auch schon wieder einige Jahre zurücklagen, Großgrimmelshausen.

Großgrimmelshausen war die Kreisstadt und lag, 8 Kilometer entfernt, hinter dem Wald und dann über den Zapfenberg hinweg, an der Landstraße die zur Hauptstadt führte.

Der kleine Mann...aber warum nenne ich ihn eigentlich immer den kleinen Mann? Natürlich hatte er auch einen Namen. Sein Name war Adalbert Vettfogel. Und während er seinen Vornamen liebte, mochte er seinen Nachnamen überhaupt nicht. Denn er war wirklich etwas speckig an den Hüften und er hatte immer das Gefühl, die Leute würden hinter seinem Rücken heimlich über ihn grinsen.

Weil die Menschen in Kleingrimmelshausen wussten, dass er leicht empfindlich auf den Namen Vettfogel reagierte sagten sie "Herr Adalbert" zu ihm. Nur der Mann auf dem Postamt nannte ihn weiterhin Herr Vettfogel. Denn, so sagte er, ein Postamt sei ein Amt und keine Affenstall und dort müsse alles seine Richtigkeit haben und bei ihm gäbe es keinen Herrn Adalbert sondern nur einen Herrn Vettfogel. Und dabei blieb er, solange er der Mann vom Postamt war und nicht der Herr Dingsbums, der abends in der Wirtschaft saß und ein großes Glas Bier trank. Denn dann sagte er nicht nur Adalbert, sondern auch "DU", weil die beiden seit ihrer Schulzeit die besten Freunde waren.

Der Herr Vettfogel...Oh, Entschuldigung, ich wollte sagen, der Herr Adalbert war schon immer ein vorsichtiger Mensch gewesen. Seine Freunde benutzten manchmal das Wort "feige", was ihn einerseits verletzte, andererseits aber nicht immer übertrieben war. Denn stets hatte er Bedenken, wenn es darum ging etwas Verbotenes, etwas Gefährliches, etwas Gruseliges oder auch nur etwas Ungewöhnliches zu tun.

 "Komm, wir gehen Äpfel klauen." schlug sein Freund Dingsbums vor, als sie noch Kinder waren. "Nein, ich gehe nicht mit. Nachher werden wir noch erwischt." sagte Adalbert und in seinen Gedanken sah er sich bereits im Gefängnis sitzen.

"Wer traut sich vom Schuppendach von Oma Kloppstock zu springen?" fragte Dingsbums ein anderes Mal. "Ich kann nicht. Ich habe mir gestern den Fuß verknackst." sagte Adalbert, humpelte den Rest des Tages herum und verzerrte bei jedem Schritt das Gesicht, als ob er wirklich Schmerzen hätte.

 "Sollen wir heute, wenn es dunkel ist, in das verlassene Haus am Waldrand gehen?" schlug Dingsbums vor. "Ich muss um 5 Uhr zuhause sein und meiner Mutter beim Kochen helfen." redete sich Adalbert heraus und bekam schon eine Gänsehaut, wenn er nur daran dachte, in die Nähe des alten Hauses zu gehen.

Im Laufe der Jahre war er zwar älter, aber nicht mutiger geworden. Allerdings machte es inzwischen ja nicht mehr viel, denn weder verlangte jemand von ihm Äpfel zu klauen noch von Oma Kloppstocks Schuppen zu springen.