Samstag, 26. April 2014

03.

"Nanu." dachte Adalbert und sah auf die Uhr "Wer kann denn das sein?"

Er ging an die Türe, schob die Gardine an der kleinen, quadratischen Glasscheibe beiseite und sah hinaus. Draussen stand sein Freund Dingsbums. Oder besser gesagt, der Herr Postbeamte Dingsbums, denn er trug seine Postuniform und hatte sogar die Dienstmütze auf dem Kopf.

Adalbert öffnete die Türe.

"Ein Paket für Herrn Vettfogel." sagte Herr Dingsbums.

"Danke." sagte Adalbert und wollte Dingsbums das Paket aus der Hand nehmen. Doch der trat schnell einen Schritt zurück.

"Moooment. Können Sie sich ausweisen?"

"Dingsbums..." knurrte Adalbert ungeduldig, denn er bekam nur ganz selten einen Brief und ein Paket hatte er noch nie bekommen und war deshalb aufgeregt und neugierig "du kennst mich doch. Ich bin es, Adalbert."

"Das Paket ist für einen gewissen Herrn Vettfogel. Von Adalbert steht hier nichts." beharrte Herr Dingsbums auf den Formalitäten "Wenn Sie sich nicht ausweisen können, nehme ich das Paket wieder mit und Sie können es heute ab 15 Uhr, unter Vorlage eines gültigen Ausweises auf dem Postamt, Poststrasse 1, abholen."

Er musste nach dieser langen, amtlichen Erklärung erstmal Luft holen. "Denn," so fügte er noch hinzu "wir sind auf einem Postamt und nicht in einem Affenstall." Wobei er ganz vergaß, dass er ja nicht im Postamt sondern vor Adalberts Türe war.

Seufzend zog Adalbert seinen Ausweis aus der Innentasche seiner Jacke und überreichte ihn Dingsbums.

Der laß ihn sorgfältig durch, verglich mehrmals das Foto auf dem Ausweis mit Adalberts Gesicht und gab ihn dann, zusammen mit dem Pakat, zurück.

"Bitteschön, Herr Vettfogel, Ihr Paket." Er legte seine Hand an die Mütze und wollte gerade gehen, da fiel ihm noch etwas ein.

"Du sag mal, Adalbert, sehen wir uns heute abend in der Wirtschaft?" Denn nun war er keine Amtsperson mehr die eine Amtshandlung vornahm, sondern Adalberts bester Freund.

Aber Adalbert hörte gar nicht hin sondern hatte, vertieft in dem Versuch den Absender des Pakets zu entziffern, bereits die Türe geschlossen.

Freitag, 25. April 2014

02

An diesem Tag, von dem jetzt die Rede sein soll und an dem alles anders wurde, stand Herr Adalbert also vor seinem Haus und sah die Pfeffergasse erst hinauf und dann hinunter.

Aus dem Haus Nummer 15, schräg gegenüber, hörte er die Frau Bolle mit ihrem Sohn schimpfen, drei Häuser weiter saß der alte Herr Schniepel auf der grünen Bank neben der Türe und nahm grüßend seine Pfeife aus dem Mund und oben an der Ecke trug der Herr Krämer Obst- und Gemüsekisten aus seinem Laden und baute sie, gut sichtbar für seine Kunden, vor dem Schaufenster auf.

Alles war wie jeden Morgen und Adalbert nickte zufrieden und ging los um seinen täglichen Spaziergang durch Kleingrimmelshausen zu machen.

"Pass immer schön auf, wenn du das Haus verlässt." hatte sein vater, der genauso vorsichtig wie Adalbert gewesen war, immer gesagt. "Denn wer weiss, wohin der Weg einen führt und wo man am Ende des Tages sein wird."

Und diesen Grundsatz hatte Adalbert immer befolgt und seine Schritte stets mit Bedacht getan, damit er am Ende des Tages wieder zuhause war und nicht irgendwo, wo er vielleicht gar nicht sein wollte.

Aber manchmal kommt eben alles anders.

Wie an jedem Tag ging Adalbert zuerst die Pfeffergasse hinunter, dann die Treppe neben der Kirche hinauf, bog in die Dorfstrasse ein, umrundete den Marktplatz, setzte sich auf den Brunnenrand und fütterte die Tauben, ging dann links durch die Hohle Gasse, trank in der Konditorei Streusel einen Kaffee und kehrte dann auf einem Feldweg, der ihn einmal um Kleingrimmelshausen herumführte, zurück nach Hause.

Einen anderen Weg, oder einfach einmal andersherum zu gehen, wäre ihm im Traum nicht eingefallen und hätte für Adalbert bereits ein kleines Abenteuer bedeutet.

Und als er gerade sein Haus wieder betreten hatte, er hatte noch nicht einmal seine Jacke ausgezogen und bückte sich gerade, um seine Stiefel mit den Hausschuhen zu vertauschen, klingelte es an der Türe.


Donnerstag, 24. April 2014

01.

Irgendwo, in einer völlig aus der Mode gekommenen kleinen Stadt namens Kleingrimmelshausen öffnete ein kleiner, unscheinbarer Mann seine Haustüre und trat hinaus auf die Strasse. Vor dem Haus blieb er einen Moment stehen, tastete nach seiner Taschenuhr und dem Haustürschlüssel, vergewisserte sich, ob er ein Schnupftuch einstecken hatte und ein wenig Geld und als er alles an seinem Platz fand, schloß er die Türe und sah zuerst die Strasse hinauf und dann hinunter.

Er wohnte schon sein ganzes Leben hier in der Pfeffergasse Nummer 13 und es gab keinen Ort auf der Welt wo er lieber wohnen würde. Jetzt denkt man vielleicht, wer so etwas sagt, der müsse die Welt kennen, oder zumindest einen großen Teil davon, denn woher sollte er sonst wissen, ob es nicht irgendwo anders schöner ist. Tatsächlich kannte der kleine Mann nur Kleingrimmelshausen und, von wenigen Besuchen die aber auch schon wieder einige Jahre zurücklagen, Großgrimmelshausen.

Großgrimmelshausen war die Kreisstadt und lag, 8 Kilometer entfernt, hinter dem Wald und dann über den Zapfenberg hinweg, an der Landstraße die zur Hauptstadt führte.

Der kleine Mann...aber warum nenne ich ihn eigentlich immer den kleinen Mann? Natürlich hatte er auch einen Namen. Sein Name war Adalbert Vettfogel. Und während er seinen Vornamen liebte, mochte er seinen Nachnamen überhaupt nicht. Denn er war wirklich etwas speckig an den Hüften und er hatte immer das Gefühl, die Leute würden hinter seinem Rücken heimlich über ihn grinsen.

Weil die Menschen in Kleingrimmelshausen wussten, dass er leicht empfindlich auf den Namen Vettfogel reagierte sagten sie "Herr Adalbert" zu ihm. Nur der Mann auf dem Postamt nannte ihn weiterhin Herr Vettfogel. Denn, so sagte er, ein Postamt sei ein Amt und keine Affenstall und dort müsse alles seine Richtigkeit haben und bei ihm gäbe es keinen Herrn Adalbert sondern nur einen Herrn Vettfogel. Und dabei blieb er, solange er der Mann vom Postamt war und nicht der Herr Dingsbums, der abends in der Wirtschaft saß und ein großes Glas Bier trank. Denn dann sagte er nicht nur Adalbert, sondern auch "DU", weil die beiden seit ihrer Schulzeit die besten Freunde waren.

Der Herr Vettfogel...Oh, Entschuldigung, ich wollte sagen, der Herr Adalbert war schon immer ein vorsichtiger Mensch gewesen. Seine Freunde benutzten manchmal das Wort "feige", was ihn einerseits verletzte, andererseits aber nicht immer übertrieben war. Denn stets hatte er Bedenken, wenn es darum ging etwas Verbotenes, etwas Gefährliches, etwas Gruseliges oder auch nur etwas Ungewöhnliches zu tun.

 "Komm, wir gehen Äpfel klauen." schlug sein Freund Dingsbums vor, als sie noch Kinder waren. "Nein, ich gehe nicht mit. Nachher werden wir noch erwischt." sagte Adalbert und in seinen Gedanken sah er sich bereits im Gefängnis sitzen.

"Wer traut sich vom Schuppendach von Oma Kloppstock zu springen?" fragte Dingsbums ein anderes Mal. "Ich kann nicht. Ich habe mir gestern den Fuß verknackst." sagte Adalbert, humpelte den Rest des Tages herum und verzerrte bei jedem Schritt das Gesicht, als ob er wirklich Schmerzen hätte.

 "Sollen wir heute, wenn es dunkel ist, in das verlassene Haus am Waldrand gehen?" schlug Dingsbums vor. "Ich muss um 5 Uhr zuhause sein und meiner Mutter beim Kochen helfen." redete sich Adalbert heraus und bekam schon eine Gänsehaut, wenn er nur daran dachte, in die Nähe des alten Hauses zu gehen.

Im Laufe der Jahre war er zwar älter, aber nicht mutiger geworden. Allerdings machte es inzwischen ja nicht mehr viel, denn weder verlangte jemand von ihm Äpfel zu klauen noch von Oma Kloppstocks Schuppen zu springen.